top of page
renesteiner7

Bitte hört auf zu evangelisieren!



Ein Erlebnis aus den Anfängen meiner Jesusnachfolge hat sich mir bleibend ins Gedächtnis eingebrannt. Es sind die 80er. Ein Dorfmarkt, ein paar Leute aus unserer Jugendgruppe, eine Holzharasse, darauf ein junger Mann mit fettigen Haaren am Predigen (das war ich), ein paar belustigte Passanten. Und dann sehe ich aus den Augenwinkeln, wie mein Mathe Lehrer vom Gymnasium dazu kommt. Wo ist die Entrückung, wenn man sie wirklich braucht?


«Evangelisieren» wurde in den 70ern zum ganz grossen Ding in den Freikirchen. Folgende Grafik zeigt die Häufigkeit des Wortes «evangelisieren» in deutschsprachigen Büchern zwischen 1800 und heute:




«Jeder Christ ein Evangelist!» stand auf den Klebern. Und die grosse Erweckung war nur noch eine Frage der Zeit. Doch weder das eine noch das andere bestand die Konfrontation mit der Realität. Die dutzendmal verheissene Erweckung ist nicht gekommen. Und bis heute treibt allein der Gedanke an «Evangelisation» vielen treuen Christen den Angstschweiss auf die Stirn.


Nach 5 Jahren MOVE! bin ich überzeugt, dass wir das ändern können. Ich erlebe immer wieder, dass ganz normale Jesusnachfolger/innen die Freude an einem Lebensstil entdecken, der ganz selbstverständlich «Jesus ins Schaufenster stellt». Darum geht es in diesem und einigen folgenden Blogbeiträgen.


Zu Beginn ein etwas überraschendes Plädoyer:


BITTE, HÖRT AUF ZU EVANGELISIEREN!


Warum?


Hinter dem Wort «evangelisieren» stehen Bilder, Überzeugungen, Modelle und Erfahrungen, die oft nicht helfen, das Evangelium mit Menschen zu teilen. Darum habe ich es komplett aus meinem Sprachgebrauch gestrichen. Wenn wir eine neue Kultur prägen wollen, brauchen wir eine andere Sprache.


Identität oder Aktivität?

«Evangelisation» und «evangelisieren» meinen eine Aktivität. Man kann es tun, aber auch wieder lassen. Wenn Jesus seine Jünger ruft: «Kommt mir nach und ich mache euch zu Menschenfischern.» (Mk. 1,17) geht es ihm aber um eine neue Identität. Es geht zuerst darum, wer sie sind («Menschenfischer»).


Menschenfischer?

Sprache schafft Kultur. Darum noch ein Wort zu «Menschenfischern». Im Kontext der Berufung der vier Fischer, von denen Markus 1 berichtet, macht das total Sinn. Es bedeutet schlicht: Ich gebe euch einen neuen Beruf, eine neue Berufung, eine neue Identität. Mir hilft das Bild vom Fischen aber wenig, wenn ich darüber nachdenke, wie ich das Evangelium mit Menschen teile. Was geschieht mit Fischen, nachdem sie gefischt sind? Richtig, sie sind so was von tot. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was geschieht, wenn Menschen Jesus nachfolgen. Die werden nämlich so was von lebendig!


Dazu kommt, dass das Bild, so wie es in den 80ern verwendet wurde, aus den Menschen um uns herum ein Objekt macht, an dem wir etwas tun. Und das spüren Menschen. Um Martin Buber zu bemühen: Bei Jesus waren die Menschen nie ein «Es», sondern immer ein «Du». Und in der echten Begegnung mit dem Du entfaltet sich die Kraft des Evangeliums.


Darum umschreibe ich Mk. 1,17 gerne so:

  • Folgt mir nach.

  • So werdet ihr eine richtig gute Nachricht für die Menschen um euch herum.

  • Eine so gute Nachricht, dass sie auch anfangen, mir nachzufolgen.


Anstatt Christen aufzufordern «zu evangelisieren», lasst uns darüber reden, wie wir eine gute Nachricht für andere sein können. So haben wir das griechische Wort Evangelium durch das deutsche «eine gute Nachricht» ersetzt. Und aus einer Aktivität ist eine Identität geworden: gute Nachricht SEIN.


Hier liegt ein super fruchtbarer Startpunkt, unsere Gemeinden in die Missio Dei zu führen. Wir streichen das Wort «evangelisieren» aus dem Wortschatz und ersetzen es mit der einfachen Frage:


«Wie können wir eine gute Nachricht sein für die Menschen um uns herum?»


Das funktioniert auf allen Ebenen.

  • Wie kann eine Familie in ihrem Quartier eine gute Nachricht sein?

  • Wie kann eine Kleingruppe oder Community eine gute Nachricht sein in ihrem Quartier oder Beziehungsnetzwerk?

  • Wie kann eine Kirche für ihr Dorf oder ihre Stadt eine gute Nachricht sein?


Und plötzlich wollen alle mitspielen. Plötzlich KÖNNEN alle mitspielen. Weil nicht nur die Extrovertierten, Sprachbegabten und Ninja Christen eine gute Nachricht sein können. (Oft sind letztere nämlich richtig schlechte Nachricht für andere. Aber das ist ein anderes Thema.) Und dann geschieht etwas Wundersames: anstatt mit viel emotionalem, finanziellem und zeitlichem Aufwand zu «evangelisieren», entdecken wir gemeinsam, in wie vielen Menschen in unserem Umfeld Jesus schon am Wirken ist. Und «evangelisieren» macht plötzlich richtig Freude.


Mehr dazu im nächsten Blog Beitrag.


Wenn Du ihn nicht verpassen willst, abonnier doch einfach den Blog (am Afang dieser Seite oben rechts). So kriegst Du eine Benachrichtigung, wenn der nächste Beitrag gepostet wird.


René Steiner, Core Team MOVE!




222 Ansichten1 Kommentar

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

1 Comment


beat.brugger
Feb 22

Vielen Dank René, spricht mir sehr aus dem Herzen. Ähnliche Ressentiments zum Terminus "Evangelisieren" haben mich unlängst zu dem folgenden Wortspiel animiert:

Wenn wir uns aufmachen um zu evangelisieren,

beginnen wir oft mit dem Organisieren,

mit dem Ziel, Menschen in unserer Kirche zu zentralisieren,

oder wenn das nicht klappt, sie doch wenigstens irgendwie zu kolonisieren.

Wir versuchen sie mit blendender Rhetorik zu hypnotisieren,

und merken nicht, dass wir sie nicht selten viel mehr narkotisieren.

Dazu versuchen wir unsere eigenen Leute zu mobilisieren,

manche fassen das eher auf, als dass wir sie tyrannisieren

weshalb wir sie faktisch paralysieren.

Die einen verstehen „evangelisieren“ so, dass sie primär die Gesellschaft kritisieren,

Bei dieser kommt das dann an, als wolle man sie terrorisieren.

Um…

Like
bottom of page