Es ist 31. Dezember 2023. Einer meiner absoluten Lieblingsmenschen ist vor wenigen Wochen zum Glauben an Jesus gekommen. Sie steht im Gottesdienst vorne und erzählt ihre Story. Und dann kommen diese Sätze, die ich nie mehr vergessen werde. «Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie einem Mann hinterher gelatscht. Aber jetzt latsche ich Jesus nach.» Und ein paar Wochen später sagt sie in einem Gespräch: «Für mich ist Jesus einfach ein tipp topper Guru.» Diese unglaubliche Frau ist notabene über 80 Jahre alt!
Wenn ich Sabines (Name geändert) Weg über die letzten Jahre Revue passieren lasse, dann spielten eine Reihe von ganz normalen Jesusnachfolger/innen eine wichtige Rolle. Da war diese Frau, die Sabine 2018 zu einem ersten Treffen ihrer missionale Gemeinschaft mitgenommen hat. Es wurde gegessen (machen missionale Gemeinschaften eigentlich auch noch was anderes 😊?), gelacht, die grössten Streiche aus der Kindheit erzählt, für Kranke gebetet, in der Bibel gelesen. Sie war fast zwei Jahre Teil unserer Community. Doch dann wurde es ihr zu viel, weil es immer um Jesus ging (ihre Worte). Für die Leute aus der missionalen Gemeinschaft gehörte sie trotzdem immer noch zur Familie. Ein Freund von mir sagte mal: «Behandle Menschen so, als gehörten sie schon zur Familie und sie werden früher oder später auch zur Familie gehören.» Und so gab es immer herzliche Gespräche, wenn jemand sie auf der Strasse oder beim Einkaufen traf. Einmal hatte sie starke Rückenschmerzen und eine andere Frau aus der Community betete auf der Strasse für sie. Das nächste Mal, als ich Sabine traf, sagte sie zu mir: «Du, diese Frau hat mir letztes Mal eine Heilung gemacht.» Viele beteten für Sabine und hatten sie einfach gern.
Und plötzlich im April 2023 wird Sabine die treuste Gottesdienstbesucherin unserer Gemeinde. Sie ist buchstäblich jeden Sonntag da, einfach weil ihr die Gemeinschaft und die Anbetung gut tun. Einmal sagt sie in ihrer unverwechselbaren Art: «Ich glaube, ich bin im siebten Monat schwanger mit Jesus.» Jedes Mal, wenn wir uns treffen (Sabine ist viel unterwegs), haben wir ein Fest zusammen, umarmen und uns, tauschen kurz aus und manchmal bete ich für sie. Und gegen Ende des Jahres ist es Zeit für eine neue Geburt. Was für eine unglaubliche Freude! Nun «latscht sie Jesus nach».
Warum erzähle ich das?
Weil ich nicht genug kriege von der alltäglichen Schönheit eines missionalen Lebens. Ganz normale Jesusnachfolger/innen versuchen nicht «zu evangelisieren» sondern SIND einfach Evangelium, gute Nachricht für Menschen, die sie gern haben.
Darum lautet für mich die matchentscheidende Frage für die Kirche:
«Wie können wir für die Menschen um uns herum eine gute Nachricht sein?»
In Lukas 7,11-17 lesen wir ein Story, die für mich zum Modell geworden ist, wie Jesus das gemacht hat.
Gehen
Der Text beginnt mit der Aussage, dass Jesus in eine Stadt namens Nain ging. Und dort beginnt alles «gute Nachricht sein». Wir verlassen unsere eigenen vier Wände. Wir machen uns auf die Socken, um die Begegnung mit den Menschen zu ermöglichen, in denen Gott schon am Wirken ist. So beginnt auch das Evangelium Jesu: er «kam in die Welt» (Joh. 1,9), «war in der Welt» (Joh. 1,10), wurde einer von uns (Joh. 1,14). Gute Nachricht geht nicht auf Distanz. Jesus sagt viel mehr «geht nun hin» (Mat. 28,19).
Es war für unsere Kirche der absolute Gamechanger, als wir uns die Frage gestellt haben, wie «Kirche ohne Mauern» oder «Kirche bei den Menschen» oder «Kirche überall» aussehen würde. Wir haben einen Gottesdienst ausfallen lassen. Die Kirche war an diesem Sonntag nicht zuhause, sondern Gruppen von 15 bis 30 Personen trafen sich auf Spielplätzen, in Parks, in Einkaufszentren und an vielen anderen Orten. Nicht um zu evangelisieren, sondern um präsent zu sein und in der Begegnung mit Menschen wahr zu nehmen, wo Jesus am Wirken ist.
Auch persönlich gehe ich öfters ohne Ziel und Plan aus dem Haus, bete und habe Zeit für die Begegnung mit Menschen. Es ergeben sich immer wieder lustige, berührende, traurige, spannende Begegnungen. Und einige davon haben dazu geführt, dass ich neue Freunde gefunden habe, die jetzt auch Jesus nachfolgen oder zumindest auf dem Weg nach Hause sind. Sabine ist einer dieser Menschen.
Und dieses «Gehen» hat mich selber verändert. Es ist eine Art «Aktiv Seelsorge». Wenn ich Begegnung wage, komme ich aus meiner Bubble raus. Ich erlebe eine Kollision mit dem Anderen, dem Fremden. Und diese Kollision verändert mich. Sie vergrössert mein Herz. Ich höre den Geschichten anderer zu und entdecke Planeten, von denen ich nicht mal gewusst habe, das sie existieren. Charles Pepin beschreibt das kernig. «Begegnung lässt einen Hauch von Freiheit über einer erstarrten Identität wehen.» Begegnungen können etwas Erlösendes haben, weil das Ich erst in der Begegnung mit dem Du wirklich zum Ich wird (Martin Buber).
Man mag von Papst Franziskus halten, was man will. Aber ein Satz von ihm sollten sich alle Kirchen als grosses Plakat in ihrem Gottesdienstraum aufhängen:
«Mir ist eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Strassen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.»
Bäm!
Mission als Team Sport
Jesus ging nach Nain «und seine Jünger gingen mit ihm» (Luk. 7,11). Jesus hat seine Nachfolger nicht zu Einzelkämpfern gemacht, sondern zu einer erweiterten Familie auf Mission. Wir entdecken missional leben als Team Sport. Unsere Communitys sind Weggemeinschaften, in denen auch der Introvertierte und Nicht-so-Redegewandte befähigt wird, eine gute Nachricht zu sein.
Ein kleines Spotlight, wie das aussehen kann: eine grössere Community trifft sich in der kälteren Jahreszeit in einer Turnhalle. Sie werden so überrannt von Menschen, das sie spontan noch eine Halle dazu mieten. Tischtennis Turnier, Spiele, Essen, und mittendrin ein paar Jesusnachfolger/innen, die einfach zu tun versuchen, was Jesus jetzt auch tun würde. Eine Muslima sitzt mitten im Gewusel und sieht auf Distanz, wie für eine kranke Person gebetet wird. Sie fragt nach, was da abgeht. Eine Frau aus der Community erklärt es ihr und erzählt von einer Heilung, die sie selbst erlebt hat. Die Muslima hat «per Zufall» dieselben Beschwerden. Gerne nimmt sie das Gebet an und erlebt Heilung. Eine andere Frau, die dabei zusieht, ist so bewegt, dass sie ihr Leben Jesus gibt. Es waren wohl etwa zwei Dutzend Menschen beteiligt (Essen bringen, Spiele organisieren, beten, erklären usw.), dass diese Frau sich Jesus anvertrauen konnte.
Sehen
In diesem gemeinsamen Gehen und die eigenen vier Wände verlassen, geschieht immer wieder dasselbe: eine Begegnung mit einem Menschen, in dem Gott etwas vorbereitet hat.
So auch in der Story aus Lukas 7. Ein Totenzug kommt aus der Stadt. Eine Witwe hat ihren einzigen Sohn verloren. Und dann steht «Als der Herr sie sah.»
Wie ich bereits in einem älteren Blog Beitrag geschrieben habe, beginnen ganz viele Storys von Wundern, Neuanfängen und Transformation im Leben Jesu auf diese Weise: «Und Jesus sah …»
Wenn unser Leben bis zum Platzen gefüllt ist (ja, auch von kirchlichen Aktivitäten!), dann sehen wir meistens die Menschen gar nicht mehr oder nicht wirklich. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter sehen zwar der Priester und der Levit den Mann am Boden liegen. Aber ihre Religion hatte ihnen das Herz und die Augen so verklebt, dass sie einfach vorbeigingen. Nur einer hat wirklich gesehen. Der Samariter. Er hat den Schritt verlangsamt. «Stop for the one» sagt Heide Baker. Halt an für diese eine Person.
Ich frage mich, wie viele brennende Dornbüsche wir einfach übersehen, weil wir keine Zeit haben, zu fest mit uns selbst beschäftigt sind, die Menschen zu wenig lieben oder gerade in einen Smartphone Bildschirm starren. Für mich bedeutet missional leben zuerst einmal, dass ich Zeit habe, bewusst hinschaue, die Menschen um mich herum wirklich wahr nehme, bei geringstem Verdacht auf einen brennenden Dornbusch anhalte und «den Mose mache»:
«Und Mose sagte sich: Ich will doch hinzutreten und dieses grosse Gesicht sehen, warum der Dornbusch nicht verbrennt.» (2.Mos. 3,3)
«Jesus ist ein tipp topper Guru»
Ich glaube, ich mach das zu meinem neuen Leitspruch. Denn was Jesus hier modelliert, Gehen, Mission als Teamsport, Zeit und Herz haben Menschen wirklich zu sehen, kann eigentlich jede und jeder.
Vielleicht müssten wir tatsächlich ein bisschen weniger kirchliche Programme stemmen und ein bisschen mehr Menschen befähigen, so zu leben. Denn Menschen, die genug lieben, dass sie Zeit haben und den anderen wirklich sehen, denen öffnen sich die Herzen und Häuser.
Und dann sind wir ready, dass die Action richtig losgehen kann. Wie bei Jesus in Lukas 7.
Mehr dazu bald auf diesem Kanal.
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